Kann künstliche Intelligenz die Fairness im Gesundheitswesen verbessern? Eine bahnbrechende Entwicklung aus Stein am Rhein will genau das ermöglichen.
Lara M. leidet an schwerer Depression. Nach langer Behandlung verlangt ihre Versicherung ein medizinisches Gutachten. Gutachter A erklärt Lara M. für arbeitsunfähig, woraufhin ihr eine volle IV-Rente zusteht. Die Versicherung bezieht einen zweiten Gutachter mit ein. Dieser erklärt Lara M. für arbeitsfähig. Daraufhin stellt die IV ihre Zahlungen ein. Leider kein Einzelfall, sondern ein häufiges Problem in der heutigen Versicherungsmedizin.
Die Salomo AG aus Stein am Rhein, ein Spin-off des Universitätsspitals Zürich, entwickelt eine innovative Lösung. Mithilfe einer KI-gestützten Software will das Team um PD Dr. med. Christoph Müller-Pfeiffer sämtliche Patientenaussagen sowie das in der Untersuchung gezeigte Verhalten automatisch dokumentieren, analysieren und aufbereiten. «Gerade bei psychiatrischen Diagnosen ist die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit schwierig. Es gibt kaum objektive Untersuchungsmethoden», erklärt der Psychiater und CEO.
Die Idee hinter dieser neuen Methode ist nicht, dass die KI selbst Diagnosen stellt oder über die Arbeitsfähigkeit entscheidet. «Es braucht immer die Beurteilung eines Arztes», betont Christoph Müller-Pfeiffer. «Doch wenn zwei Gutachter häufig zu gegensätzlichen Ergebnissen kommen, brauchen wir mehr Zuverlässigkeit in der Datenbasis.»
PD Dr. med. Christoph Müller-Pfeiffer, CEO Salomo Thinking Systems
Wie funktioniert also dieser neue Gold-Standard für Gutachten? Lara M. lässt sich erneut beurteilen – diesmal mit der Technologie der Salomo AG. Sie willigt ein, dass ihr Gespräch mit dem Gutachter aufgezeichnet wird. Sämtliche wichtigen Informationen ihrer Krankengeschichte wurden bereits mittels Texterkennung zusammengefasst.
Wenige Minuten nach dem Gespräch liegen auch die Daten der Stimm- und Bildaufzeichnungen schriftlich vor – nach Themen sortiert und auf die gängigen Diagnosekriterien abgestimmt. Jetzt kann sich der Gutachter auf seine Beurteilung konzentrieren. Auch hier unterstützt die Software, zum Beispiel mit einem ersten Berichtsentwurf. Wie in einem Cockpit wird der Gutachter durch alle relevanten Fragestellungen geführt und kann die Situation von Lara M. zuverlässig bewerten
Ob KI-unterstützte Gutachten häufiger zugunsten der Patienten entscheiden werden, muss wissenschaftlich untersucht werden. Doch für Christoph Müller-Pfeiffer geht es ohnehin nicht darum, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Ihm geht es um Zuverlässigkeit, Fairness und Ethik. «Intelligente Gutachten, wie wir sie anstreben, bieten allen einen Vorteil: Gutachter erhalten eine hochwertige Datenbasis für fundierte Entscheidungen. Versicherte können sicher sein, dass ihre gesamte Situation in die Bewertung einfliesst. Und Versicherungen sparen Kosten, die durch Rechtsstreitigkeiten und Zweitgutachten entstehen.»
Nun sucht Christoph Müller-Pfeiffer nach weiteren Geldgebern, um die Technologie fertig entwickeln, testen und zertifizieren zu lassen. Unterstützt wurde er bereits durch den Kanton Schaffhausen im Rahmen von einzelbetrieblichen Fördermitteln. Jetzt hofft der Arzt, der Region bald etwas zurückgeben zu können.
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