Usain Bolt, Real Madrid und der Kanton Schaffhausen haben eines gemeinsam: Allesamt sind sie Weltklasse. Weltklasse? Ja! Der Kanton Schaffhausen gehört international zu den Top-Adressen für Highend-Spritzgussformen und -produkte und beliefern Kunden aus der ganzen Welt. Doch während Usain Bolt und Real Madrid und ihre Erfolge in aller Welt bekannt sind, gehört der Kanton Schaffhausen zum Typ «Weltklasse, und doch unbekannt».
Kunden aus Asien, Australien oder Amerika zählen auf Schaffhauser Unternehmen, wenn sie Highend-Produkte aus Kunststoff für den Medtechbereich oder Lebensmittelverpackungen brauchen. Seit Jahrzehnten verfügt der Standort Schaffhausen über viel Know-how und qualifizierte Unternehmen und Fachkräfte in dieser Branche – sei es im Formenbau oder Spritzguss. Dazu gehören Unternehmen wie die FOSTAG Formenbau AG aus Stein am Rhein, die KEBO AG aus Neuhausen am Rheinfall, die Gebrüder Renggli AG aus Schaffhausen oder die Stamm AG aus Hallau, die hier näher vorgestellt werden. Sie stehen stellvertretend für eine ganze Branche, die am Standort Schaffhausen starke Vertreter hat und deren Produkte weltweit für Qualität «Made in Schaffhausen» stehen. Sie stehen aber auch für Industriekompetenz, die am Standort Schaffhausen von innen über Jahrzehnte gewachsen ist und seither stetig weitergegeben wird. Dass diese Unternehmen heute im internationalen Wettbewerb ganz vorn mitspielen, haben sie durch präzise Arbeit und Innovation erreicht. Nicht ganz im Stillen, doch weitgehend unbeachtet.
Ob in Fahrzeugen, Mobiltelefonen oder als Verpackung von Lebensmitteln: Produkte aus Kunststoff sind ein wesentlicher Bestandteil unzähliger Alltagsgegenstände. Hergestellt werden viele davon im Spritzgussverfahren. Dabei werden thermoplastische Kunststoffe erhitzt und unter hohem Druck in eine Spritzform gegossen. Nach dem Abkühlen und Erstarren fallen die fertigen Formteile aus der Maschine, und der Vorgang wiederholt sich – zum Teil x-tausendfach an einem Tag. Dadurch können Teile in Massenproduktion hergestellt werden. Die dafür nötigen Formen bestehen aus Metall und werden von spezialisierten Formenbauern im Auftrag ihrer Kunden produziert. Dabei werden höchste Ansprüche an Präzision und Verarbeitung gestellt. Die fertigen Formen werden schliesslich beim Spritzgiesser in die Spritzgussmaschinen eingesetzt, und der Produktionsprozess wird gestartet. Eine Form kann für die Herstellung von mehreren Millionen Teilen genutzt werden, bevor sie revidiert oder ausgetauscht werden muss.
Dass gerade die Region Schaffhausen heute überdurchschnittlich viele Unternehmen aus den Bereichen Formenbau und Spritzguss aufweist, geht auf einen Hallauer zurück: Theodor Schöttli. Der gelernte Feinmechaniker war es, der in den Krisenjahren der frühen 1930er-Jahre auf die Kunststoffe aufmerksam wurde. In einer Scheune begann er, Pressformen für die Kunststoffverarbeitung herzustellen. Aus diesem Betrieb gingen die ersten Ableger hervor, etwa die Firma Buchter-Schöttli, die heute als SMC Mould Innovation AG noch immer in Hallau ansässig ist, die Stamm AG sowie der Diessenhofener Formenbauer Schöttli AG. Letztere wurde 1952 von Theodor Schöttlis gleichnamigen Sohn gegründet und bildete den Nukleus für viele weitere Unternehmen in den Bereichen Spritzguss und Formenbau. Darunter etwa die FOSTAG Formenbau AG in Stein am Rhein, den Neuhauser Formenbauer KEBO AG und das Schaffhauser Spritzgussunternehmen Gebrüder Renggli AG. «Die Firma Schöttli hat stets gute Berufsleute ausgebildet, wodurch schliesslich eine Vielzahl von Spritzguss- und Formenbauunternehmen entstanden ist», erklärt Urs Renggli, heutiger Geschäftsführer der Gebrüder Renggli AG. Dies führte zu einer Konzentration von Know-how in der Region, wodurch Schaffhausen zu einer Hochburg in den Bereichen High-End-Spritzguss und Formenbau wurde.
Im internationalen Wettbewerb hat die Ballung zahlreicher Firmen in der Region Schaffhausen zu Vorteilen geführt. «Konkurrenz belebt das Geschäft», sagen einhellig Daniel Bodenmann, Co-Geschäftsführer bei KEBO, und Markus Mühlemann, Co-Geschäftsführer bei der Fostag. Dies führe dazu, dass die Schaffhauser Unternehmen stets neue Innovationen hervorbringen würden. Denn, da sind sich alle vier Geschäftsführer einig, Innovation sei essenziell. So ist es denn auch nicht erstaunlich, dass eine der grössten Innovationen im Spritzguss im Raum Schaffhausen entstanden ist. Theo Schöttli und Bruno Segmüller, Gründer der heutigen Fostag in Stein am Rhein, entwickelten gemeinsam ein angussloses Spritzgiessen. Ein Verfahren, das heute weltweit zum Einsatz kommt, wie Markus Mühlemann, Managing Partner und CEO der Fostag, erzählt. «Schaffhausen gilt deshalb als Geburtsstätte der Heisskanaltechnologie.» Ob Prozessoptimierungen oder die Entwicklung neuer Technologien und Verfahren wie etwa die patentierte Co-Injection-Technologie von Fostag – auch heute arbeiten die Spritzgiesser und Formenbauer Schaffhausens stets an neuen Lösungen, um die Kundenbedürfnisse optimal zu erfüllen. «Dabei ist es wichtig, dass man verschiedene Abteilungen zusammenarbeiten lässt und auch mal verrückte Ideen hat, die vielleicht nicht umsetzbar sind», sagt Detlef Moll, Geschäftsführer der Stamm AG in Hallau. Doch gebe es dann auch die eine Lösung, die schliesslich zum Ziel führe. So hat sein Unternehmen kürzlich das kleinste in Serie gegossene Spritzteil auf den Markt gebracht, das kleiner als ein Streichholzkopf ist. Noch vor wenigen Monaten sei ein solches Produkt unvorstellbar gewesen, betont Moll. Das Selbstverständnis als reiner Spritzgiesser oder Formenbauer haben alle vier Unternehmen abgelegt und entwickeln nun gemeinsam mit ihren Kunden neue Produkte und Lösungen. «Das motiviert auch die Mitarbeitenden, Höchstleistungen zu bringen, wenn sie aktiv an der Produktentwicklung mitwirken können», sagt Mühlemann.
Spritzgiesser und Formenbauer sind global aufgestellt. Ihr Exportanteil liegt zwischen 65 und 95 Prozent. In Kombination mit dem starken Franken führt dies seit 2008, und insbesondere nach dem Frankenschock 2015, zu Nachteilen auf dem Weltmarkt. «Wir waren plötzlich 20 Prozent teurer als die Konkurrenz», sagt Bodenmann. Das hätten sie stark gespürt. Auch die anderen Unternehmen geben zu Protokoll, dass dies zu einem erhöhten Kostendruck geführt hätte. Doch eine Tugend der Schweiz hätte dazu geführt, die Krise zu überstehen. «Es liegt in unserer DNA, extrem präzise zu arbeiten», sagt Mühlemann. Daraus resultierten hochqualitative Produkte. «Die Unternehmen in Schaffhausen und Umgebung sind in den Bereichen Konsumartikel für Medizin, Labor und Verpackungen allesamt Weltspitze», betont Bodenmann. Das wissen auch die Kunden. Und dafür seien sie bereit, etwas tiefer in die Tasche zu greifen. Helfen würde dabei die Mund-zu-Mund-Propaganda. Denn die Branche sei gut vernetzt, und liefere man gute Arbeit ab, spreche sich das schnell herum. Manchmal seien es gar Marktbegleiter, die Kunden auf die Schaffhauser Firmen aufmerksam machen würden, sagt Moll. Da heisse es dann: «Gehen Sie nach Schaffhausen, die können das», wenn sie das gewünschte Produkt nicht herstellen könnten. «Der Kunde schaut zudem nicht nur auf den Endpreis, sondern weiter: Wie viele Qualitätsprobleme habe ich? Kann ich mit dem Produkt seriös produzieren, und erhalte ich meine Lieferung pünktlich?», seien Fragen, die vom Kunden in die Gesamtrechnung miteinbezogen werden. Und dann stimme unter dem Strich auch der Preis, erklärt Moll. Deshalb ist er überzeugt, dass der Standort Schaffhausen auch in Zukunft eine Topadresse in den Bereichen Spritzguss und Formenbau sein werde.